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Chinas langer Schatten

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

Wenn man sich auf den Kapitalmärkten umsieht, erblickt man derzeit einen erstarkenden US-Dollar, eine auf den ersten Blick weiter gut laufende US-Konjunktur im längsten Börsenaufschwung ihrer Geschichte, ein labiles Europa und ein China, das bei voller ökonomischer Fahrt und starkem konjunkturellen Seitenwind die Reifen wechseln will.

Derweil schaut die globale Gemeinschaft darauf, wieviel die USA wirtschaftlich und militärisch gegen China bereit sind zu riskieren. Der Druck der USA, sich ihrer Haltung gegenüber China bzw. Huawei zur 5G-Frage anzuschließen, ist enorm. Gleichzeitig ist der politische Druck der USA gegen den Iran, auch in Europa, stark gestiegen. Und da sind ja auch noch Russland und die US-Sanktionen. Ganz zu schweigen von Venezuela und Syrien.

Alles in allem scheint es, als entstünde gerade eine sprunghaft wachsende Diskrepanz zwischen den internationalen Institutionen zur Konfliktlösung und ihren Ergebnissen. Die lauwarme Rednerliste und die laukalten Ansagen auf dem World Economic Forum im Januar 2019 in Davos sind jedenfalls beispielhaft und ernüchternd. Liegt es vor allem an der mangelnden Anpassungsflexibilität der Institutionen und in der Folge an der abnehmenden Akzeptanz dieser politischen Arenen seitens der zentralen (Veto-) Akteure? Die Verkettung von Handelskonflikten mit militärischer Gefechtsbereitschaft ist jedenfalls nicht der Stoff, aus dem ein Happy End gemacht wird. Und die Kollateralschäden sind schnell ausgemacht.

Es geht natürlich zentral um die USA und China. Hier hat eine bilaterale Enttäuschung aber auch etwas Gutes. Man entledigt sich nämlich einer Täuschung, was natürlich zunächst positiv für den Getäuschten ist. Der Täuschende muss seine Taktik ändern.

Dies alleine dürfte aber nicht reichen, um bei dem Getäuschten neues Vertrauen aufzubauen. Aber wer täuscht hier wen? Und kann man behaupten, getäuscht zu sein, wenn man die rosarote Brille der jahrelangen Lohnveredelung in China aufhat und die Entwicklung des chinesischen Staates als nicht wichtig genug ansah, um in China zu ,,disinvestieren‘‘? Man will den chinesischen Markt, aber nicht das System akzeptieren, in dem es sich bildet. Dieser Wahrnehmungsfilter, der im Westen bislang zu wenig mehr als zu Wertekonflikten geführt hat, scheint sich nun zu ändern.

Das mag auch an der Strategie Chinas liegen, die auch auf Zeit spielt. Solange leere Versprechungen reichen, bekommt man eben auch nur leere Versprechungen. In der Zwischenzeit baute China seine Volkswirtschaft auf und holte Hunderte von Millionen Bürger aus der bitteren Armut.

Zwischenergebnis der Strategieumsetzung: Der weltweite Widerstand steigt. Man fühlt sich plötzlich verwundbar und sieht den Status quo bedroht. Ob beim Kauf von deutschen Hochtechnologiefirmen durch chinesische Unternehmen oder bei 5G-Technologien und dem Zwangstechnologie-Transfer ausländischer Investoren in China: Den immer klarer erkennbaren Risiken steht eine nicht ansatzweise ausreichende Resilienz gegenüber. Eng verflochtener Welthandel als Ergebnis der Globalisierung bedeutet eben auch eine höhere ökonomische Abhängigkeit und damit Verwundbarkeit.

Es darf deshalb nicht überraschen, wenn sich die westliche Politik irgendwann ihr Primat zurückholt und strategische und Sicherheitsinteressen schwerer wiegen als ökonomische. Ein langsam gekochter Frosch ist eben am Ende auch gekocht! Was bei dem gerade ablaufenden Aufprall der strategischen Eisberge USA und China sicher ist, ist nicht zuletzt die Tatsache, dass die chinesische Strategie, bis zum 100. Jahrestages der Gründung Chinas im Jahr 2049 das Land zur technologischen Weltspitze zu führen, zulasten der USA, aber auch Europas gehen wird. Dass China sich dafür intensiv mit dem Konzept ,,Industrie 4.0‘‘ Deutschlands auseinandergesetzt hat, ist dabei mehr als nur ein Zufall, denn schließlich will man ja am Ende besser als Deutschland auf den Weltmärkten sein!

Die Entwicklung Chinas zur technologischen Supermacht soll dabei in 3 Phasen laufen. Dazu definierte der Staatsrat 9 strategische Ziele und entwickelte fünf landesweite Initiativen. Insgesamt konzentriert sich China in seiner Strategie auf zehn Schlüsselindustrien und definiert 9 strategische Aufgaben. In der 1. Phase, die der chinesische Staatsrat 2015 beschlossen hat und die bis zum Jahr 2025 läuft, will das Land die Gesamtqualität der Fertigung wesentlich verbessern, Chinas Position als Fertigungsnation stärken sowie die Innovationskapazität und Integration von IT in die Industrie deutlich steigern. Der Energie- und Materialverbrauch sowie die Schadstoffemission in Schlüsselindustrien sollen das Niveau einer entwickelten Volkswirtschaft erreichen.

In der 2. Phase bis 2035 will China dann das Mittelfeld der Industriemächte erreicht und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit signifikant ausgebaut haben. In der letzten Phase von 2035 bis 2049 will China dann die Fähigkeit erlangen, Innovationen und fortschrittliche Technologien sowie industrielle Systeme zu entwickeln.

Das alles wäre wohl kein Anlass zur Besorgnis, wenn China im Inland für ausländische Investoren den Gleichbehandlungsgrundsatz wirklich umsetzen würde, wozu auch ein verlässliches Rechtssystem gehört. Da dies aber nach wie vor eine Quelle der Enttäuschung ist, bleibt das diesbezügliche Vertrauen in China vorerst ungenügend. Zum anderen lastet die Machtpolitik des Faktischen auf dem Potenzial zur Verständigung. Denn es war der chinesische Präsident, der dem US-Präsidenten in die Hand versprach, im südchinesischen Meer keine militärische Infrastruktur aufzubauen, während seine Armee im gleichen Moment genau dies tat. Dies hat bei den USA, aber auch bei Chinas betroffenen Nachbarn wie Vietnam und den Philippinen die Alarmglocken läuten lassen.

Und was die viel zitierte Win-Win-Situation der chinesischen Entwicklungsstrategie für die an der Seidenstraßen-Initiative beteiligten Staaten angeht: Das bisherige Verhalten Chinas in Afrika oder Zentralasien bietet wenig Belege dafür zu glauben, der Gewinn des anderen Staates würde die eingetretenen Nachteile (über-)kompensieren. Im Übrigen ist die Zahl gescheiterter Investitionsprojekte Chinas im Ausland auch eine lehrreiche Liste der Ignoranz anderer Kulturen und Umweltbedürfnisse.

Für das Verständnis der Strategie Chinas ist es hilfreicher, intensiv in Sun Tsu’s fundamentaler Schrift ,,Die Kunst des Krieges‘‘ nachzulesen. In 13 Kapiteln erklärt er von der Strategieplanung bis zum Einsatz von Spionen, wie das Hauptziel der Strategie erreicht werden kann, nämlich die vollständige und nachhaltige Vernichtung eines durch entsprechende, falls möglich gewaltlose, taktische Maßnahmen zuvor ausreichend geschwächten Gegners. Nur dadurch lässt sich aus seiner Sicht die durch den Krieg drohende Vernichtung des eigenen Volkes verhindern. Alle einzelnen taktischen Maßnahmen sind diesem Ziel untergeordnet. Zudem: Die Illusion chinesischer Zurückhaltung bei der Anwendung von Gewalt sollte schnell erlöschen, wenn man die Fakten der historischen Forschung heranzieht, denn die Vermeidung von verlustträchtigen Abnutzungskriegen ist eben eine kluge Strategie, ressourcenschonend das eigene Ziel zu erreichen und kein Ziel an sich. Was zu diesem Denkansatz gar nicht passt, ist ,,Win-Win‘‘, also eine hinreichende Reziprozität in den Beziehungen zueinander.

Was dies im ökonomischen Kontext dann gegenüber jenen Ländern bedeutet, die heute über die Hochtechnologie verfügen, die China möglichst schnell und geräuschlos erlangen will, kann man anhand der ICE-Technologie für Shanghai im Fall Siemens studieren, aber auch an der Taktik beim Übernahmeversuch von Aixtron durch den Fujian Grand Chip Investment Fund im Jahr 2016.

Fazit: Die durch die Globalisierung entstandene komplexe Weltwirtschaft zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität gegenüber Disruptionen aus. Dies resultiert zum einen aus den vielfältigen diversifizierten Wertschöpfungsketten. Zum anderen ergibt sich aus der Komplexität die Notwendigkeit eines hohen gegenseitigen Vertrauens als auch solches in dessen institutionelles Gerüst. Denn das Potenzial einer Ansteckung und damit einer Multiplikation von Risiken sind dabei übergroß. Dies verdeutlicht die Verantwortung Chinas für eine wirkliche Internationalisierung seines Wirtschaftssystems, die Europas für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie mit China, und jene der USA für einen weitsichtigen Umgang mit einer aufstrebenden ökonomischen und politischen Großmacht, bei der ein Gesichtsverlust viel mehr bedeutet als einfach nur Abschminken.

 

19.05.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de





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