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Konjunktureller Bodenfrost im Juni?

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

In den vergangenen Tagen blitzen auf dem ökonomischen Mosaikgemälde mehrere Steinchen in einem schillernden Licht auf. Sie lassen die bisher dominante Interpretation verschwimmen und bieten Anlass für eine alternative Deutung. Der mediale Kampf um die Deutungshoheit durch die Dominanz der Narrative ist derzeit im vollen Gange. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Aufrechterhaltung des Marktvertrauens und in dessen Schlepptau des Sentiments der Märkte.

Das Sentiment der einzelnen Märkte ist fundamental für deren Stabilität, da es ein Indikator für die Liquidität ist. Dabei ist Liquidität nichts Naturgegebenes, sondern ändert sich mit den Kontextbedingungen und spiegelt diese reflexiv wider. Zu diesen gehören die Entscheidungen und ,,Forward Guidance‘‘ der Notenbanken, die Differenz zwischen ihrem Reden und Handeln, politische Entscheidungen und deren, auch abweichende Intentionalität, die fundamentale Bewertung der Märkte sowie die Bepreisung des Risikos für signifikante Änderungen eines wahrscheinlichsten Szenarios.

 

Inverse Zinsstrukturkurve

 

Zu den Mosaiksteinen, die aktuell ein deutlich anderes Szenario suggerieren, gehört zunächst die Lage der Zinsstrukturkurve, die in ihrer Benchmark-Form als Differenz zwischen den 3-Monats-Zinsen bzw. den Renditen zweijähriger Staatsanleihen und denen zehnjähriger Staatsanleihen erscheint. Die Zinsen für 3-monatige US-Treasury Bills lagen gestern zu Handelsschluss bei 2,34 %, jene für zweijährige US-Staatsanleihen bei 1,86 %, jene mit 10 Jahren Laufzeit bei 2,12 % und die mit 30 Jahren Laufzeit bei 2,63 %. Damit ergibt sich eine negative Differenz für die Laufzeiten von 2 und 10 Jahren, was per se anzeigt, dass die US-Notenbank mit ihren bisherigen Zinserhöhungen bereits zu weit gegangen ist.

Erwähnt werden sollen in diesem Kontext zwei aktuelle Konstellationen. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe hatte den seit Oktober 1987 bestehenden Abwärtstrend im Januar 2018 nach oben durchbrochen, ist aber im Mai 2019 wieder unter diese Trendlinie gefallen. Dies bestätigt neben der Schnelligkeit und Stärke des Zinsrückganges, die auch bei der 30-jährigen US-Staatsanleihe sichtbar ist, die Vermutung einer scharfen Konjunkturabkühlung.

 

Die adjustierte Zinsdifferenz

 

Hinzu kommt zweitens, dass die adjustierte Zinsdifferenz noch viel negativer wird, wen man zur Renditedifferenz von 3-Monatszinsen und zehnjähriger US-Staatsanleihe den Effekt aus dem Liquiditätsentzug aus dem QT (Quantitative Tightening zur Bilanzsummennormalisierung) der US-Notenbank ergänzt. Die dem Markt entzogene Liquidität hat einen ähnlichen Effekt wie eine Zinserhöhung und bewirkt im Ergebnis, dass die adjustierte Zinsdifferenz viel früher negativ wurde und aktuell deutlicher im Minus liegt. Damit zeigt sie eine deutlich schwächere Wirtschaftsdynamik an und bestärkt die Vermutung, die US-Notenbank könnte mit ihren Zinserhöhungen viel zu weit gegangen sein. Sie gibt auch ein Indiz dafür, dass die nun erwartete geldpolitische Lockerung nicht nur eine Rückkehr zu 0 % Zinsen, sondern auch zu einem neuen Liquiditätsprogramm (QE4) erfordern könnte. Die Andeutungen von US-Notenbankchef Powell bereiten argumentativ bereits den Boden dafür.

Ob die Notenbank jedoch die Märkte von der realwirtschaftlichen Wirksamkeit ihrer Geldpolitik überzeugen kann, ist bis auf Weiteres völlig offen. Schlagworte für die aktuelle Lage sind eine Zombifizierung des Unternehmenssektors durch exzessive Kreditaufnahme und der abnehmende Wachstumseffekt einer Kreditausweitung durch eine zunehmende Überschuldung von Konsumenten, schwachen Unternehmen und Staaten. Die zuletzt deutliche Ausweitung der Kreditaufschläge für schwache Unternehmensschuldner ergänzt damit das Mosaikbild.

Um die reale Nachfrage abzuschätzen, hilft unter anderem ein Blick auf die Rohstoffpreise und hier vor allem Öl und Dr. Copper. Der Kupferpreis hat nicht zuletzt im Zuge des sich zuspitzenden Handelsstreits zwischen den USA und China von 6.600 US-Dollar Ende April 2019 auf aktuell 5.880 US-Dollar abgegeben und erreichte damit ein Zweijahrestief. Der Ölpreis wiederum hatte sich bis Ende April von seinem Tief vom Weihnachtstag 2018 bei 50 US-Dollar wieder bis auf über 75 US-Dollar erholt, gab aber vor dem Hintergrund der weltweiten Abkühlung wieder deutlich auf aktuell 62 US-Dollar ab.

Interessant hierbei ist jedoch nicht nur das relative Preisniveau, sondern auch die Differenz der Preisdynamik im Vergleich zu Gold! Denn während Öl fällt, steigt der Goldpreis und mit ihm das Gold-Öl-Ratio. Dieses trat seit 1983 nur dreimal auf und wurde jeweils von Rezessionen begleitet.

Fazit: Die Wirksamkeit der Steuerung der Markterwartungen steht im Widerspruch zum disruptiven Politikansatz Präsident Trumps. Der Verlust an Vertrauen ist schnell gemacht und nur langsam, falls überhaupt, wiederaufgebaut. Auch hier gilt: Intentions matter! Die Kapitalmärkte haben am vergangenen Freitag ein deutliches Signal gegeben, was Sie für weiteres Vertrauen als Gegenleistung erwarten. Das politische Zerfleddern selbstorganisierter globaler Wertschöpfungsketten gehört jedenfalls nicht dazu. Für große Politikfehler jedenfalls ist in der derzeitigen fragilen Konjunkturlage in Europa, China, aber auch in den USA kein Spielraum mehr. Sonst könnte bald der Punkt erreicht sein, an dem die Märkte den Glauben daran verlieren, dass sich die Wirtschaftslage durch Geldpolitik kontrollieren lässt. Und dann wäre er da, der konjunkturelle Bodenfrost im Frühsommer!

 

05.06.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de





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