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Marktwirtschaft light!

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

Eine Marktwirtschaft lebt, wie der Name schon sagt, vom Markt, genauer gesagt, von der Signalfunktion des Preismechanismus, der Knappheiten über die marginale Zahlungsbereitschaft anzeigt, die im besten Falle der Grenzleistungsfähigkeit dieser Inputfaktoren für die Produktion bzw. dem Grenznutzen für den Konsumenten entsprechen.

Diese Einsicht scheint für die Kapitalmärkte spätestens seit dem Moment nicht mehr zu gelten, seit die Notenbanken in der Finanzkrise 2008 weltweit auf Krisenmodus umstellten und die Märkte nicht nur mit Liquidität fluteten und die Zinsen auf ein 5000-Jahres-Tief senkten. Nein, sie schwangen sich auch noch, je nach Kapitalmarktsegment, zum marginalen Nachfragemonopolisten auf, um über den dadurch entstehenden Mindestpreis für Anleihen Bankbilanzen vor der Wertimplosion zu bewahren, denn schließlich zeigte sich, wie schwachbrüstig die Banken kapitalseitig sind. Seither sind die Bankenstresstests nicht mehr das Papier wert, auf dem sie veröffentlicht werden.

Der Mechanismus der interventionistischen Politik, die wahrscheinlich sogar Keynes zu weit gegangen wäre, geht aber weit über den Anleihemarkt hinaus. Denn der entstandene Zins bestimmt über viele Kanäle den Wert fast aller Vermögensgegenstände wie etwa die Bewertung von Derivaten, die Kapitalkosten von Unternehmen sowie als Diskontrate den Wert zukünftiger Erträge. Gleichzeitig wird eine viel höhere Verschuldung darstellbar, die in Verbindung mit der Möglichkeit von leerverkauften Futures die Manipulation jeglicher Marktpreise ermöglicht. Von den marktpsychologischen Anomalien, wie sie uns die Finanzpsychologie zur Verfügung stellt, ganz zu schweigen.

Einen Ausdruck dieser Marktlage ist der Stand des VIX, der impliziten Volatilität von Optionen auf den S&P 500 Aktienindex. Dieser erreichte am Freitag einen Wochenschluss von 12,01 %, ein Niveau, auf dem er auch vor seinen explosionsartigen Anstiegen auf 50,3 % am 06.02.2018 und auf 36,10 % am Weihnachtstag 2018 stand. Der Aktienmarkt ist sich anscheinend aktuell ziemlich sicher, dass ökonomisch alles rund läuft. Die US-Aktienmärkte laufen ja, weich gewordener US-Notenbank sei Dank, und ein abruptes Ende der massiven Aktienrückkäufe ist derzeit nicht in Sicht.

Doch ist ein Blick auf die einzelnen Anlegergruppen für VIX-ETP’s ganz hilfreich. Denn da zeigt sich, dass die Privatinvestoren per saldo eher long gehen und mit den preiswerten Optionen ihre Aktienbestände absichern, während die institutionellen Investoren, vor allem Hedge Funds, sich mit ihrer Shortposition bereits wieder in der Nähe der Marktextreme vom September 2017 befinden. Ein Blick auf die Wertentwicklung dieser institutionellen Anleger im 1. Quartal 2019 lässt einen an der Behauptung zweifeln, dass institutionelle Investoren das bessere Marktgespür haben: Während der S&P 500 Index in diesem Zeitraum um 16 % anstieg, legte der Equity Long/Short Hedgefund Index nur um 6 % zu, und der Global Macro Hedge Fund Index lag sogar 1 % im Minus. Kurz, der VIX-Index spiegelt die Selbstgefälligkeit institutioneller Anlegergruppen wider, was zur Vorsicht mahnt.

Bezüglich der Angemessenheit der aktuellen Zinsen sei betont, dass auch die US-Notenbank den wirklichen Gleichgewichtszins nur erahnen kann. Ihre beiden Zinserhöhungen um zusammen 50 Basispunkte im 2. Halbjahr 2018 waren vor allem eine Reaktion auf die starken Wachstumszahlen des 1. Halbjahres, in denen die Effekte der Steuersenkung und der Anreize zur Repatriierung ausländischer Dollarvermögen in die USA sichtbar wurden, von denen aber auch anzunehmen ist, dass diese sich nicht wiederholen. Diese Zinsschritte wurden jedoch trotz der Effekte gemacht, die die vorangegangenen Zinserhöhungen bereits auf die Geldmenge M2 widerspiegelten, denn die Wachstumsrate der Geldmenge M2 betrug nur noch die Hälfte jener Rate zwei Jahre zuvor. Hierbei kumulierten die Effekte der Zinserhöhungen mit jenen des Quantitative Tightening (QT), was zu einer deutlichen Gefährdung der zinssensitiven Wachstumssektoren Auto, Hausbau und Kapitalgüter führte.

Währenddessen gehen die kontroversen Diskussionen über den Informationsgehalt der inversen Zinsstrukturkurve weiter. Der Abstand der zweijährigen US-Staatsanleihe zur zehnjährigen betrug am 12.04.2019 16 Basispunkte und bewegt sich damit seit dem Ausverkauf am Aktienmarkt im Dezember 2018 auf gleichem Niveau seitwärts. Der wahre Wert dieses Spreads liegt darin, dass er den Gipfel des Geschäftszyklus anzeigt. Der Abstand der dreimonatigen Anleihen zu den zehnjährigen betrug derweil 12 Basispunkte. Seit 1955 ging allen Rezessionen eine inverse Zinsstrukturkurve dieser Laufzeiten voraus. Hinzu kommt, dass der Abstand der Zinsstrukturkurve für Laufzeiten zwischen 3 Monaten und 7 Jahren ist aktuell negativ.

Es ist deshalb wahrscheinlich, dass der Anleihemarkt eine Zinsumkehr einpreist, was wiederum bedeutet, dass die Notenbank im letzten Jahr bereits um 50 Basispunkte zu viel erhöht haben könnte. Dies wäre ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Zinssensitivität bereits bei einem Realzinsniveau von weniger als 1 Prozent stark ansteigt. Dieser Effekt ist umso größer, je länger die Notenbank die Zinsen nicht wieder senkt, da auch die Gesamtverschuldung steigt. Je eher also die US-Notenbank wieder in den Zinssenkungsmodus übergeht, umso geringer werden die Kollateralschäden der Zinserhöhungen des vergangenen Jahres sein. Die Ankündigung der FED, im September 2019 den Bilanzabbau zu beenden, ist ein erster Schritt.

Die Schulden wachsen derweil weiter. Die US-Staatsschuld überschritt 22 Billionen US-Dollar, die Unternehmensschulden übersprangen die Marke von 6 Billionen US-Dollar und die Konsumenten lassen inzwischen 4 Billionen US-Dollar anschreiben. Es sei daran erinnert, dass im 2. Halbjahr 2018 die Rezessionsängste in den USA auch deshalb wieder verflogen, weil die Ausfallrate der Unternehmensanleihen noch keine Anzeichen einer Verschlechterung zeigte und der Trend der Herabstufungen die Besorgnis nicht bestätigte.

Inzwischen hat sich aber auch hier eine Dynamik gebildet, die ins Bild einer bereits zu weit gegangenen Liquiditätsverknappung durch die FED und einem sehr späten Zeitpunkt im Konjunkturzyklus passt. Denn die Downgrades für US-Unternehmen haben das höchste Niveau seit dem Rohstoffcrash 2015/2016 erreicht. Die Ratinganalysten von Standard & Poors senkten im 1. Quartal 2019 bei 72 % der Firmen die Bonität, während der langjährige Durchschnitt bei 62 % in den USA und Europa liegt. Höher lag die Rate der Bonitätsrückstufungen nur noch für die Emerging Markets mit 83 %.

Fazit: Investoren sollten genau beobachten, ob sich die Downgrades in den USA erholen. Dies könnte man vermuten, nachdem die FED die Liquiditätsversorgung wieder gelockert hat und Zinssenkungen bereits für dieses Jahr erwartet werden. Sollte sich die Zinsstrukturkurve nicht erholen und sogar wieder invers werden, ist eine aggressive Zinssenkungspolitik rund um den Globus möglich. Der VIX sollte im Zuge dessen wieder zum Leben erweckt werden und sich in Richtung seines historischen Mittels bewegen, was fast doppelt so hoch liegt wie das aktuelle Niveau. Die Rekordverschuldung wird damit jedoch nicht abgebaut. Es rückt deshalb nach 10 Jahren Konjunkturaufschwung der Tag näher, an dem der Wert von Finanzaktiva vor allem im Anleihemarkt hinterfragt werden wird. Das massive Portfoliorisiko dieses Szenarios sollte man nicht erst dann beginnen zu reduzieren, wenn die Tür der Märkte zugeht, die von innen keine Klinke hat. Denn es ist eben diesmal etwas anderes - Marktwirtschaft light!

 

15.04.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de





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