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Moral Hazard und die Notenbanken

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

Diese Woche war wieder mal richtig was los an den Märkten. Der Brexit, begleitet von fieberhaftem taktischem Gerangel auf allen Seiten, taumelt seiner elastischen Ziellinie entgegen. Gleichzeitig steigt in Europa die politische Fieberkurve weiter an, nachdem bei Regionalwahlen in den Niederlanden ein smarter Rechtsaußen und seine rechtspopulistische FvD einen Erdrutschsieg errungen haben und nun dem politischen Establishment vor der Europawahl im Mai graut. Die Halbwertszeit der Versprechen sinkt, die Inkonsistenz der Aussagen steigt.

Während dessen mehren sich die Indizien, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession rutschen könnte. Die schwachen Einkaufsmanagerindizes der Eurozone machen es noch schwerer, an eine schon zuletzt drastisch gesenkte Wachstumsschätzung für 2019 zu glauben. Die mit dem Markit-Einkaufsmanagerindex gemessene Unternehmensstimmung des verarbeitenden Gewerbes in der Eurozone fiel am Freitag auf 47,6 nach 49,3 im Vormonat und zeigte damit den stärksten Rückgang seit der Staatsschuldenkrise 2012.

Nun ist guter Rat teuer. Nachdem die Politik die notwendigen Reformen in großem Maße bei den Notenbanken abgeladen hat, sind deren Werkzeuge inzwischen stumpf geworden. Die Schaumkanonen der Liquiditätsprogramme haben nicht zu einem Aufschwung, geschweige denn einem selbsttragenden, geführt, sondern zu einem blutleeren oder real gar keinem. Die Inflation als Kriterium der Geldpolitik steht alleine auf dem Friedhof der Kuscheltiere!

Allerdings haben die Notenbanken etwas anderes erreicht: Die Anleihe-Kaufprogramme haben bei nüchterner Betrachtung den Anleihemarkt in Bezug auf die Zinserwartung zerrüttet, vor allem in Europa. Die US-Notenbank hatte insgesamt stärkere aufsichtsrechtliche Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen und zudem die Fed-Fund-Rate wieder bis auf rund 2,5 % über der magischen Nullgrenze angehoben. Denn wie will man die Zinsen senken, wenn man sie bei ach so brummender Konjunktur nicht mal ein bisschen anheben kann?

Diese Woche nun machte das FED seinen Kotau vor dem Kaiser - der real existierenden Wirklichkeit. Von Zinserhöhungen ist für 2019 nicht mehr die Rede, der Bilanzabbau wird beendet werden, und auch sonst war der realwirtschaftliche wie politische Druck wohl zu groß, auch wenn das mantraartig abgestritten wird. Und das mit der Perspektive eines schon bei vorgegebener guter Konjunktur explodierenden US-Defizites. Man fragt sich wirklich, wer all die Schuldverschreibungen noch deutlich größerer Defizite bei einem Konjunkturabschwung kaufen soll, wenn nicht die Notenbank.

Aber ach, das ist ja sowieso unwichtig. Denn wie die noch viel höhere Verschuldung in anderen Ländern zeigt, sollte auch hier der Zweck die Mittel heiligen. Und der Zaubertrick hat auch schon einen Namen - MMT (Modern Monetary Theory). Zu jeder politischen explosiven und strategisch verzweifelten Lage findet sich eben auch die passende Zuckerglasur für die ökonomische Giftpille!

 

Heiligt nun in diesem Falle aber der Zweck die Mittel?

 

Kleiner Rückblick: Der weltweite Anleihemarkt wurde im Zuge der quantitativen Stabilisierungsprogramme von den Notenbanken gehijacked. Im Ergebnis spiegelt keiner dieser Märkte, vor allem aber nicht die Zinsen der schwächsten Schuldner, das wirkliche Ausfallrisiko wider. Zudem haben die Notenbanken sich mit ihren Kaufprogrammen in die Ecke manövriert. Ob man es nun Draghi-, Bernanke-, Yellen- oder nun seit dieser Woche Powell-Put nennen will, der Inhalt des Zauberhutes bleibt der gleiche. Er enthält keinen weißen Hasen, sondern einen Zettel, auf dem steht: Moral Hazard!

Dieses moralische Risiko (Moral Hazard) droht dabei nicht mehr nur, es ist bereits für weite Teile der Anleihemärkte real vorhanden. Ein moralisches Risiko droht dabei, wenn Marktteilnehmer davon entlastet werden, für potenziell kostspielige Konsequenzen ihrer Entscheidungen selbst einzustehen, weil diese Kosten von anderen übernommen werden. Das individuelle Risiko wird also kollektiviert. Damit fördert das moralische Risiko leichtfertiges und nicht risikoadäquates Verhalten aufgrund der Abdeckungsgewissheit des resultierenden Schadensrisikos.

Nun ist aber kaum abzuschätzen, zu welchen Schäden es kommt, wenn die Notenbanken ihren Draghi- und Powell-Put auslaufen lassen und der eisige Wind realer Kredit- und Liquiditätsrisiken wieder zurückkehrt. Das heißt, sie können es eigentlich nicht. Dass der Saldo aus individuellem Vorteil und kollektivem Schaden für jeden Einzelnen positiv ist, ist äußerst unwahrscheinlich. Denn es ist und bleibt eine Rationalitätenfalle, bei der der Kollateralschaden auf individueller, gruppenbezogener oder staatlicher Ebene kaum zu überschätzen ist!

Die Diffusion der Kreditrisiken in praktisch alle bedeutenden Portfolios nimmt damit so ziemlich jeden in ökonomische Geiselhaft, der direkt oder indirekt in Anleihen investiert ist. Und das sind so ziemlich alle Kapitalsammelstellen, ob nun Pensionskassen, Vorsorgewerke, Lebensversicherungen oder eben private Anleihedepots und Publikumsfonds.

Nimmt man sich die Stresstests, die nach Basel 3 zur Simulation von Zinsänderungs-Szenarien bei Banken durchgeführt worden, und stellt sie dem obigen Szenario gegenüber, so wird klar, dass gerade in Europa ein wesentlicher Teil der Banken dies mit den aktuellen Bilanzierungsregeln nicht überleben wird. Denn die steigenden Zinsen werden nicht nur Buchgewinne bei Anleihen in Luft auflösen und damit bei den Eigenanlagen zu höchstem Bewertungsstress führen, sondern auch zu deutlich höheren Ausfallraten im Kreditgeschäft. Von der ebenfalls sehr wichtigen Frage einer hinreichenden Liquidität ganz zu schweigen. Es könnte sich beim unausweichlichen Repricing der Kreditmärkte am Ende möglicherweise so anfühlen, als käme man aus der (risikotechnisch überhitzten) Sauna und würde ins Eiswasser springen. Man kann nur hoffen, dass dann das eigene Vermögen und die Ansprüche auf zukünftige Zahlungen wie Rentenansprüche im risikotechnischen Sinne nicht kreislaufschwach sind!

Fazit: Nein, der Zweck heiligt auch in diesem Fall nicht die Mittel. Das real existierende Risikoanreizproblem namens Moral Hazard ist der Brandbeschleuniger der nächsten Kreditkrise. Es trägt zudem das massive Risiko ausgetrockneter Liquidität in sich. Der Zaubertrick der Notenbanken hat nicht funktioniert. Der Wachstumsbeitrag zusätzlicher Schulden geht kaum mehr über ein Strohfeuer hinaus, der Produktivitätszuwachs lahmt. Stattdessen ist die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung gestiegen, das generalisierte Vertrauen in das politische System gesunken und das Schaffen von Schuldgeld aus dem Nichts hat die Marktteilnehmer risikotechnisch betrunken gemacht. Die politischen Systeme sind wohl das schwächste Glied der Steuerungskette. Sollte es reißen, werden weder die Notenbanken mit tieferen Negativzinsen noch mit QE-to-Infinity helfen können. Was hilft, ist Mut zu den Fakten und die Erinnerung an den weitsichtigen Gedanken des Perikles: ,,Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.‘‘

 

22.03.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 





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